Vorwort der Vorsitzenden
1. Der unmittelbare Anstoß zu dieser Feststellung geht auf das Gedenken an den 500. Geburtstag Martin Luthers im Jahre 1983 zurück. In jenem Jahr fanden in Leipzig und Worms größere öffentliche Gedenkfeiern statt, und der Erzbischof von Canterbury, Dr. Robert Runcie, nahm diese Gelegenheit zum Anlaß vorzuschlagen, daß die Beziehungen zwischen der Kirche von England und den deutschen evangelischen Kirchen enger gestaltet werden sollten. Diese Initiative wurde vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Konferenz der Kirchenleitungen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik freundlich erwidert.
2. Die gegenseitigen Beziehungen hatten sich ja seit 1945 bereits zunehmend freundschaftlich entwickelt. Das Schwergewicht der kirchlichen Verbindungen zwischen England und der Deutschen Demokratischen Republik hat auf der Partnerschaft zwischen Coventry und Dresden gelegen, wenngleich es außerdem zahlreiche weitere Kontakte gegeben hat. Zu der wachsenden Gemeinschaft zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Kirche von England – ausführlich belegt in einer Broschüre von Oberkirchenrat K. Kremkau(1) – haben nicht nur örtliche Partnerschaften, sondern seit 1964 auch offizielle theologische Gespräche gehört.
3. Einen weiteren Impuls für die Entwicklung dieser Beziehungen gab die Veröffentlichung der Berichte der Anglikanisch-Lutherischen Europäischen Kommission (1982), der Gemeinsamen Internationalen Anglikanisch-Lutherischen Arbeitsgruppe (1983), der Internationalen Anglikanisch-Reformierten Kommission (1984) und der Konvergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt der Kommission des Ökumenischen Rates der Kirchen für Glauben und Kirchenverfassung (1982).
4. Die Anwesenheit anglikanischer Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland und deutschsprachiger evangelischer Gemeinden in Großbritannien unterstreicht als ein weiterer Faktor, daß engere Beziehungen wünschenswert sind.
5. Seit 1985 wurden in der Folgezeit von der Kirche von England, dem Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Bundesrepublik Deutschland offizielle Delegierte ernannt, die eine Grundlage für engere Beziehungen ausarbeiten sollten. (Die Namen der Teilnehmer sind im Anhang aufgeführt.) Diese Arbeit wurde im Februar 1987 in London Colney (GB) begonnen, von einer kleinen Arbeitsgruppe im November 1987 auf Schloß Schwanberg (BRD) weitergeführt und im März 1988 in Meißen (DDR) abgeschlossen. Die Feststellung wurde einstimmig beschlossen und wird nunmehr den jeweils zuständigen Kirchenleitungen zur Billigung vorgelegt (Der englische und der deutsche Wortlaut sind in gleicher Weise maßgebend).
6. Wir möchten besonders auf die Struktur der Feststellung aufmerksam machen. Die ersten fünf Abschnitte stützen sich bewußt auf die Ergebnisse der vorausgegangenen ökumenischen Dialoge. Unsere Absicht ist es, auf der bereits geleisteten wertvollen Arbeit aufzubauen, die sich aber noch im Rezeptionsprozeß unserer Kirchen befindet. Wir möchten nicht, daß die Erklärung in Abschnitt VI isoliert von der ihr vorausgehenden wichtigen gemeinsamen Feststellung gesehen wird.
7. Wenn diese Vorschläge angenommen sind – und wir hoffen sehr, daß dies bald geschieht -, bedürfen die künftigen Beziehungen zwischen unseren Kirchen der Unterstützung durch zweiseitige Vereinbarungen und durch einen Rahmen für die kontinuierliche Zusammenarbeit. Diese Feststellung wird daher zu gegebener Zeit durch detaillierte praktische Vorschläge ergänzt werden, die zur Zeit von den ökumenischen Dienststellen unserer Kirchen ausgearbeitet werden.
David Grimsby
Dr. Johannes Hempel DD
D. Karlheinz Stoll
Auf dem Weg zu sichtbarer Einheit
Eine gemeinsame Feststellung
18. März 1988, Meißen
I. Die Kirche als Zeichen, Werkzeug und Vorgeschmack des Reiches Gottes
1. Gottes Plan ist gemäß der heiligen Schrift, alle Dinge in Christus zu versöhnen, in dem, durch den und zu dem hin sie geschaffen sind.
2. Zu diesem Zwecke erwählte Gott Israel, sandte er Jesus Christus und beauftragte er die Kirche. Abrahams Berufung geschah zum Segen für alle Völker (Gen. 12,1-3). Der Knecht Gottes wird nicht nur die Zerstreuten Israels wiederbringen; er ist gemacht zum Licht der Heiden, um das Heil bis an die Enden der Erde zu bringen (Jes. 49, 6). In Christus versöhnte Gott die Welt mit sich selber (2. Kor. 5, 19; Koll 1, 15-20). Der Brief an die Epheser laßt die Bedeutung des Werkes Christi für das Mysterium, die Berufung und die Sendung der Kirche erkennen, wenn er sagt: Gott hat uns gesegnet mit allem geistlichen Segen durch Christus… Er hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluß, den er zuvor in Christus gefaßt hatte, um ihn auszuführen, wenn die Zeit erfüllt wäre, daß alles zusammengefaßt würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist (Eph. 1, 3.9.10). Einem jedem aber von uns ist die Gnade gegeben nach dem Maß der Gabe Christi… Und er hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer, damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Mann, zum vollen Maß der Fülle Christi (Eph. 4, 7.11.13).
3. Die Kirche, der Leib Christi, muß stets in dieser Perspektive als Werkzeug zur Erfüllung des Heilsplanes Gottes gesehen werden. Die Kirche ist zur Ehre Gottes da und um im Gehorsam gegenüber der Sendung Christi der Versöhnung der Menschheit und der ganzen Schöpfung zu dienen. Darum ist die Kirche in die Welt als ein Zeichen, Werkzeug und Vorgeschmack einer Wirklichkeit gesandt, die von außerhalb der Geschichte hereinbricht – das Reich oder die Herrschaft Gottes. Sie ist bereits eine vorläufige Verkörperung von Gottes Willen, der auf das Kommen des Gottesreiches gerichtet ist(2) . Die Kirche ist von göttlicher Wirklichkeit, sie ist heilig, und sie reicht über die gegenwärtige endliche Wirklichkeit hinaus. Gleichzeitig hat sie als eine menschliche Institution Anteil an der ganzen Zweideutigkeit und Schwachheit menschlichen Wesens und bedarf stets der Buße, der Reform und der Erneuerung(3) .
II. Die Kirche als koinonia
4. Heute entdecken wir gemeinsam mit anderen Christen wieder den Gemeinschaftscharakter der Kirche. In einer tieferen Schicht vieler neutestamentlicher Beschreibungen der Kirche, wie z. B. das Volk Gottes, der Leib Christi, die Braut, der Tempel des Geistes, gibt es die Wirklichkeit einer koinonia – einer Gemeinschaft -, die darin besteht, daß wir gemeinsam mit den anderen Gliedern der Kirche am Leben der Heiligen Trinität teilhaben. Diese Gemeinschaft – koinonia – wird gemäß der Schrift durch die vom Glauben und der Bekehrung untrennbare Taufe gestiftet. Alle Getauften sind berufen, in einer Gemeinschaft des Priestertums zu leben und Gott Lobopfer darzubringen, die gute Nachricht miteinander zu teilen und sich an der Sendung und dem Dienst für die Menschheit zu beteiligen. Dieses gemeinsame Leben wird aus Gottes Gnade durch Wort und Sakrament erhalten und gepflegt. Ihm dient das ordinierte Amt, und es wird ferner durch andere Bande der Gemeinschaft zusammengehalten (vgl. Nr. 8).
5. Die Kirche ist die Gemeinschaft (koinonia) derer, die mit Gott und miteinander versöhnt sind. Sie ist die Gemeinschaft derer, die in der Kraft des Heiligen Geistes an Jesus Christus glauben und durch Gottes Gnade gerechtfertigt sind. Sie ist auch die versöhnende Gemeinschaft, weil sie dazu berufen ist, der ganzen Menschheit Gottes gnädiges Angebot der Erlösung und Erneuerung zu bringen(4) . Weil die koinonia auch Teilhabe an dem gekreuzigten Christus ist, gehört es zum Wesen und zur Sendung der Kirche, an den Leiden und Kämpfen der Menschheit in einer Welt teilzuhaben, die von Gott entfremdet und in sich durch unseren Ungehorsam gegenüber seinem Willen gespalten ist.
III. Wachsen auf die volle, sichtbare Einheit hin
6. Um ihre Sendung zu erfüllen, muß die Kirche selbst geeint sein. Es ist die missionarische Perspektive, in der wir beginnen können, die Teilungen zu überwinden, welche uns getrennt gehalten haben. So wie unsere Kirchen im Glauben in die Fülle Christi hineinwachsen, so werden sie selber in der Einheit zusammenwachsen. Diese Einheit wird die verschiedenen Gaben widerspiegeln, die Gott seiner Kirche in vielen Völkern, Sprachen, Kulturen und Traditionen gegeben hat. Die Einheit, die wir suchen, muß gleichzeitig diese verschiedenen Gaben berücksichtigen und die Sichtbarkeit der einen Kirche Jesu Christi immer umfassender offenbar werden lassen.
7. Die vollkommene Einheit muß auf das endgültige Kommen des Gottesreiches warten, wenn alle Gott völlig gehorsam und deshalb in Gott vollständig miteinander versöhnt sein werden. Aber in einer gefallenen Welt sind wir verpflichtet, nach der vollen, sichtbaren Einheit des Leibes Christi auf Erden zu streben. Wir müssen für die Darstellung der Einheit auf allen Ebenen arbeiten, für eine Einheit, die im Leben der Heiligen Trinität gründet und Gottes Plan mit der ganzen Schöpfung darstellt. Alle unsere Versuche, diese Vision zu beschreiben, können nur vorläufigen Charakter haben. Ständig werden wir zu neuen Einsichten in die Tiefen und den Reichtum dieser Einheit geführt und ergreifen neue Möglichkeiten, mit denen sie in Worten und im Leben bekundet werden kann. Jede Erfahrung von Einheit ist eine Gabe Gottes und ein Vorgeschmack und Zeichen des Gottesreiches.
8. Indem die Kirchen zusammenwachsen, wächst auch das Verständnis für die besonderen Merkmale voller, sichtbarer Einheit. Wir können bereits gemeinsam geltend machen, daß volle, sichtbare Einheit einschließen muß:
Ein gemeinsames Bekenntnis des apostolischen Glaubens in Wort und Leben. Dieser eine Glaube muß örtlich und weltweit gemeinsam bekannt werden, so daß Gottes Versöhnungswille überall kundgetan wird. Indem die Kirche diesen apostolischen Glauben gemeinsam lebt, hilft sie der Welt, ihre eigentliche Bestimmung zu finden.
Die Teilhabe an einer Taufe, an der Feier eines Herrenmahles und an dem Dienst eines versöhnten, gemeinsamen Amtes. Diese gemeinsame Teilhabe an einer Taufe, einem Herrenmahl und einem Amt vereinigt alle an jedem Ort mit allen an allen Orten innerhalb der ganzen Gemeinschaft der Heiligen. Die ganze Kirche ist in jeder Feier des Herrenmahles gegenwärtig, und auf diese Weise werden die Örtliche und die universale Kirche vereint. Durch die sichtbare Gemeinschaft wird die heilende und einigende Kraft des Dreieinigen Gottes inmitten der Trennungen der Menschheit offenbar.
Bande der Gemeinschaft, welche es der Kirche auf allen Ebenen ermöglichen, den apostolischen Glauben zu bewahren und auszulegen, Entscheidungen zu treffen, mit Vollmacht zu lehren, Güter zu teilen und in der Welt ein wirksames Zeugnis zu geben. Die Bande der Gemeinschaft werden personale und kollegiale Aspekte wie Aspekte der Gemeinde besitzen. Auf allen Ebenen sind sie äußere und sichtbare Zeichen der Gemeinschaft zwischen Personen, die durch ihre Taufe und eucharistische Gemeinschaft in die Gemeinschaft des Dreieinigen Gottes einbezogen sind.
IV. Die bereits erreichte Gemeinschaft
9. Indem Gott diese Einheit sichtbarer macht, erkennen wir, daß wir bereits an einer wirklichen Gemeinschaft teilhaben. Diese schließt ein die gemeinsame Gabe der Heiligen Schrift als den authentischen Bericht von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus und als die Norm christlichen Glaubens und Lebens, die Entscheidungen der frühen ökumenischen Konzile; das Apostolische und das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis als maßgebliche kirchliche Auslegung des apostolischen Glaubens; eine gemeinsame vorreformatorische westliche Tradition des Gottesdienstes, der Spiritualität und der Theologie; ein reformatorisches Erbe, das in den 39 Religionsartikeln, dem Book of Common Prayer und dem Ordinal sowie im Augsburgischen Bekenntnis und im Heidelberger Katechismus zum Ausdruck kommt, eine ähnliche historische Überlieferung des Gottesdienstes mit dem Mittelpunkt der Verkündigung und Feier des lebendigen Christus in Wort und Sakrament, die jetzt mit anderen christlichen Traditionen innerhalb der liturgischen Erneuerung zusammenläuft.
10. Obwohl wir uns voneinander entfremdeten und in Trennung lebten, haben wir niemals als Kirchen gegeneinander ein Verdammungsurteil ausgesprochen. Im 19. Jahrhundert beteiligten sich unsere Kirchen an einer Reihe gemeinsamer missionarischer Bemühungen. In den dunklen Jahren zwischen 1933 und 1945 kamen einige Mitglieder unserer Kirchen in einer wahren Gemeinschaft des Zeugnisses zusammen. Diese Beziehung entwickelte sich nach dem 2. Weltkrieg und hat fortdauernd in der weiteren ökumenischen Bewegung Frucht getragen.
11. Jetzt freuen wir uns über unser Zusammenwachsen. Es besteht Zusammenarbeit auf vielen Gebieten sozialer und pastoraler Anliegen, wir haben gemeinsame theologische Dialoge geführt, unsere Gemeinschaft hat durch Austausch, durch Partnerschaften örtlicher Gemeinden und durch Besuche auf allen Ebenen Förderung erfahren. Wir sind bereits in der Lage, einander zum Empfang des Heiligen Abendmahls in unseren Kirchen einzuladen.
12. Wir erkennen an, daß es in unseren getrennten Kirchen die Treue gibt zum apostolischen Glauben und zur apostolischen Sendung, zur Feier von Taufe und Herrenmahl und zu der Ausübung der ordinierten Ämter als von Gott gegeben und als Werkzeugen seiner Gnade.
13. Unser Zusammenwachsen ist Teil einer weiteren Bewegung innerhalb der einen ökumenischen Bewegung auf die Einheit hin. Für diese unsere Übereinkunft sind die folgenden Vereinbarungen und engeren Beziehungen von besonderer Bedeutung:
(1) In den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts stellte die Kirche von England mit den lutherischen Kirchen von Schweden und Finnland, Lettland und Estland Interkommunion her. Dies umschloß gegenseitige eucharistische Gastfreundschaft und die Erlaubnis zu predigen und bei der Eucharistie zu assistieren. Bischöfe der Kirche von England und der Kirchen von Schweden und Finnland haben von Zeit zu Zeit an Ordinationen von Bischöfen gegenseitig teilgenommen. Ferner gibt es seit den 50er Jahren offizielle gegenseitige eucharistische Gastfreundschaft zwischen der Kirche von England und den Kirchen von Norwegen, Dänemark und Island. In den Vereinigten Staaten von Amerika vollzogen lutherische und bischöfliche Kirchen (Protestantische Episkopalkirche der Vereinigten Staaten von Amerika) im Jahre 1986 den Schritt zur eucharistischen Gemeinschaft ad interim.
(2) In ähnlicher Weise sind Anglikaner und Reformierte an einer Reihe nationaler Einigungsverhandlungen in verschiedenen Teilen der Welt beteiligt. Diese hatten bereits unterschiedliche Grade eucharistischer Gemeinschaft in den USA und in Wales zur Folge. In den Vereinigten Kirchen auf dem indischen Subkontinent sind beide Konfessionen zusammengetroffen. In England leben Anglikaner und Reformierte und in einem Fall auch Lutheraner gemeinsam in örtlichen ökumenischen Projekten, in denen sie gemeinsam leben, Gottesdienst halten und an einem Amt teilhaben. An einigen Orten schließt dies die gemeinsame geistliche Leitung oberhalb der örtlichen Ebene ein.
(3) Die Kirche von England, die Evangelische Kirche in Deutschland und der Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik haben enge Beziehungen zu den Altkatholiken. Die Kirche von England stellte mit den Kirchen der Utrechter Union durch die Bonner Vereinbarung von 1931 Interkommunion her. Die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und die Altkatholische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik gewähren sich gegenseitig eucharistische Gastfreundschaft.
(4) Lutherische, reformierte und unierte Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, in der Deutschen Demokratischen Republik und im Vereinigten Königreich gehören zur Leuenberger Konkordie Reformatorischer Kirchen in Europa, die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft erklärt. Im Jahre 1987 nahmen auch die Evangelisch-Methodistische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland und die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft auf. Entsprechende Vorschläge liegen gegenwärtig den Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik vor.
V. Einigkeit im Glauben
14. Unsere Empfehlungen unter Nr. 17 gründen sich auf die vereinbarten Erklärungen zwischen Vertretern der Kirchen der Anglikanischen Gemeinschaft und des Lutherischen Weltbundes und der Kirchen der Anglikanischen Gemeinschaft und des Reformierten Weltbundes; und – auf der europäischen Ebene – zwischen Vertretern anglikanischer und lutherischer Kirchen in Europa(5) . Neben diese vereinbarten Erklärungen gehören der Bericht der Kommission des Ökumenischen Rates der Kirchen für Glauben und Kirchenverfassung über Taufe, Eucharistie und Amt(6) und die Berichte anglikanischer, lutherischer und reformierter Dialoge mit der Römisch-Katholischen Kirche. Alle diese vereinbarten Texte befinden sich noch im Zustimmungs- und Rezeptionsprozeß unserer Kirchen. Sie alle zeigen eine bemerkenswerte innere Übereinstimmung, die darauf hindeutet, daß sich die Kirchen aufeinander zubewegen.
15. Als ein Ergebnis dieser Dialoge sind die Kirche von England, der Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik mit seinen Gliedkirchen und die Evangelische Kirche in Deutschland in der Bundesrepublik Deutschland mit ihren Gliedkirchen jetzt in der Lage, in folgenden Punkten Übereinstimmung festzustellen:
(1) Wir erkennen die Autorität der kanonischen Schriften des Alten und Neuen Testamentes an. Unsere gottesdienstlichen Schriftlesungen richten sich nach der Ordnung des Kirchenjahres(7) .
(2) Wir erkennen das Nicäno-Konstantinopolitanische und das Apostolische Glaubensbekenntnis an und bekennen die grundlegenden trinitarischen und christologischen Dogmen, welche diese Glaubensbe-kenntnisse bezeugen. Das heißt: Wir glauben, daß Jesus von Nazareth wahrer Gott und wahrer Mensch ist und daß Gott ein Gott in drei Personen, Vater, Sohn und Heiliger Geist, ist(8) .
(3) Wir feiern den apostolischen Glauben in der gottesdienstlichen Liturgie. Liturgie ist für uns die Feier des Heils durch Christus und ein bedeutsamer Faktor beim Zustandekommen des consensus fidelium. Wir freuen uns über das Ausmaß der Gemeinsamkeit unserer Tradition in der Spiritualität, Liturgie und im sakramentalen Leben, die uns ähnliche Formen des Gottesdienstes, gemeinsame Texte, Lieder, biblische Lobgesänge und Gebete gebracht hat. Wir sind durch eine gemeinsame liturgische Erneuerung beeinflußt. Aber wir freuen uns auch über die Vielfalt der Ausdrucksformen, die sich bei unterschiedlichen kulturellen Bedingungen zeigen(9) .
(4) Wir glauben, daß die Taufe mit Wasser im Namen des Dreieinigen Gottes den Getauften mit dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi vereint, die Aufnahme in die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche vermittelt und die Gnadengabe neuen Lebens im Geist vermittelt(10) .
(5) Wir glauben, daß die Feier des Herrenmahles das von Jesus Christus eingesetzte Fest des Neuen Bundes ist, bei welchem das Wort Gottes verkündigt wird und in welchem der auferstandene Christus seinen Leib und sein Blut unter den sichtbaren Zeichen von Brot und Wein der Gemeinde gibt. Im Geschehen des Herrenmahles ist Christus wahrhaft gegenwärtig, um sein Leben in der Auferstehung mit uns zu teilen und uns mit ihm in seiner Selbsthingabe an den Vater zu vereinen, jenem einen vollständigen, vollkommenen und genügenden Opfer, das er allein bringen kann und ein für allemal gebracht hat(11) . In dieser Feier erfahren wir die Liebe Gottes und die Vergebung der Sünden In Jesus Christus und verkündigen seinen Tod und seine Auferstehung, bis er wiederkommt und sein Reich zur Vollendung bringt(12) .
(6) Wir glauben und verkündigen das Evangelium, daß in Jesus Christus Gott die Welt liebt und erlöst. Wir besitzen ein gemeinsames Verständnis von Gottes rechtfertigender Gnade, d. h. daß wir für gerecht gehalten und gerechtfertigt vor Gott allein aus Gnade durch Glauben aufgrund des Verdienstes unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus sind und nicht in Ansehung unserer Werke oder Verdienste… Unsere beiden Konfessionen bestätigen, daß die Rechtfertigung zu ‘guten Werken’ führt und führen muß; echter Glaube bringt Liebe hervor(13)
(7) Wir glauben, daß die Kirche von dem Dreieinigen Gott durch Gottes Heilshandeln in Wort und Sakramenten gegründet ist und erhalten wird und nicht das Werk der einzelnen Gläubigen ist. Wir glauben, daß die Kirche in die Welt als Zeichen, Werkzeug und Vorgeschmack des Reiches Gottes gesandt ist. Aber wir erkennen ebenso an, daß die Kirche ständig der Reform und Erneuerung bedarf(14) .
(8) Wir glauben, daß alle Glieder der Kirche zur Teilnahme an ihrer apostolischen Sendung berufen sind. Ihnen sind daher vom Heiligen Geist vielfältige Ämter gegeben. Innerhalb der Gemeinschaft der Kirche besteht das ordinierte Amt, um dem Amt des ganzen Volkes Gottes zu dienen. Wir meinen, daß das ordinierte Amt des Wortes und Sakramentes eine Gabe Gottes an seine Kirche und daher ein Amt göttlicher Einsetzung ist(15) .
(9) Wir glauben, daß ein in personaler, kollegialer und gemeinschaftlicher Weise ausgeübtes Amt pastoraler Aufsicht (Episkope) nötig ist, um die Einheit und Apostolizität der Kirche zu bezeugen und zu schützen(16) .
(10) Wir haben eine gemeinsame Hoffnung auf die endgültige Vollendung des Gottesreiches und glauben, daß wir in dieser eschatologischen Sicht berufen sind, jetzt für die Förderung von Gerechtigkeit und Frieden zu arbeiten. Das Gottesreich muß verbindlich werden und unser Leben in der Kirche und unsere Sorge für die Welt regieren. Es ist christlicher Glaube, daß Gott in Jesus ‘durch sein Blut am Kreuz’ (Kol. 1, 20) Frieden gemacht und damit die eine verbindliche Mitte für die Einheit der ganzen menschlichen Familie gesetzt hat(17) .
16. 0bwohl lutherische, reformierte und unierte Kirchen in zunehmendem Maße bereit sind, die bischöfliche Sukzession als ein Zeichen der Apostolizität des Lebens der ganzen Kirche zu würdigen, meinen sie, daß diese besondere Form der Episkope nicht eine notwendige Bedingung für volle, sichtbare Einheit werden sollte. Das anglikanische Verständnis voller, sichtbarer Einheit schließt den historischen Episkopat und volle Austauschbarkeit der Pfarrer ein. Wegen dieses bleibenden Unterschiedes führt unsere gegenseitige Anerkennung der beiderseitigen Ämter noch nicht zur vollen Austauschbarkeit der Pfarrer. Aber auch dieser bleibende Unterschied kann im Lichte unserer Übereinstimmungen und Annäherungen nicht als ein Hindernis für engere Gemeinschaft zwischen unseren Kirchen angesehen werden(18) .
VI. Gegenseitige Anerkennung und nächste Schritte
17. Wir empfehlen, daß unsere Kirchen gemeinsam die folgende Erklärung abgeben:
Die Meissener Erklärung
Wir, die Kirche von England, der Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik mit seinen Gliedkirchen und die Evangelische Kirche in Deutschland mit ihren Gliedkirchen verpflichten uns auf der Grundlage unserer Teilhabe an dem gemeinsamen apostolischen Glauben und im Lichte dessen, was wir von unserer gemeinsamen Geschichte und unserem gemeinsamen Erbe wiederentdeckt haben, wie dies in den Kapiteln I bis V zum Ausdruck gekommen ist, gemeinsam nach der vollen, sichtbaren Einheit zu streben.
A 1) Wir erkennen unsere Kirchen gegenseitig als Kirchen an, die zu der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche Jesu Christi gehören und an der apostolischen Sendung des ganzen Volkes Gottes wahrhaft teilhaben;
(2) wir erkennen an, daß in unseren Kirchen das Wort Gottes authentisch gepredigt wird und die Sakramente der Taufe und des Herrenmahls recht verwaltet werden;
(3) wir erkennen unsere ordinierten Ämter gegenseitig als von Gott gegeben und als Werkzeuge seiner Gnade an und freuen uns auf die Zeit, wenn sich unsere Kirchen in vollem Einklang befinden werden und damit die volle Austauschbarkeit der Geistlichen möglich sein wird;
(4) wir erkennen an, daß personale und kollegiale geistliche Aufsicht (Episkope) in unseren Kirchen in einer Vielfalt von bischöflichen und nichtbischöflichen Formen als ein sichtbares Zeichen der Einheit der Kirche und der Kontinuität des apostolischen Lebens, der apostolischen Sendung und des apostolischen Amtes verkörpert und ausgeübt wird.
B Wir verpflichten uns zur Teilnahme an gemeinsamem Leben und gemeinsamer Sendung. Wir werden alle möglichen Schritte zu engerer Gemeinschaft auf so vielen Gebieten christlichen Lebens und Zeugnisses wie möglich unternehmen, so daß alle unsere Mitglieder gemeinsam auf dem Weg zu voller, sichtbarer Einheit voranschreiten mögen.
Als nächste Schritte vereinbaren wir:
(1) offizielle theologische Gespräche zwischen unseren Kirchen fortzusetzen, zur Rezeption der bereits erreichten theologischen Übereinstimmung und zur Annäherung zu ermutigen und an der Überwindung der zwischen uns noch bestehenden Unterschiede zu arbeiten; (Diese Schritte bedürfen getrennter Vereinbarungen zwischen der Kirche von England und dem Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und zwischen der Kirche von Englang und der Evangelischen Kirche in Deutschland).
(2) Formen gemeinsamer geistlicher Aufsicht zu schaffen, so daß unsere Kirchen regelmäßig miteinander wichtige Angelegenheiten von Glauben und Kirchenverfassung sowie des praktischen Christentums beraten können (Diese Schritte bedürfen getrennter Vereinbarungen zwischen der Kirche von England und dem Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und zwischen der Kirche von England und der Evangelischen Kirche in Deutschland).
(3) gegenseitig an unseren Gottesdiensten, einschließlich Taufe, Herrenmahl und Ordinationen, teilzunehmen;
(4) daß ordnungsgemäß berufene Geistliche unserer Kirchen gemäß den kirchlichen Regelungen und im Rahmen ihrer Befugnisse in Gemeinden der anderen Kirchen, wenn dies erbeten wird, die Aufgaben ihres eigenen Amtes wahrnehmen dürfen;
wenn diese Aufgaben nicht nur bei einer einzelnen Gelegenheit, sondern für längere Zeit ausgeübt werden sollen, so ist eine Einladung der zuständigen Kirchenbehörde für die Ausübung dieser Aufgaben erforderlich.
(5) daß die Kirche von England die Mitglieder der Gliedkirchen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland einlädt, das Heilige Abendmahl nach der Ordnung der Kirche von England zu empfangen; die Gliedkirchen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland laden die Mitglieder der Kirche von England ein, das Heilige Abendmahl nach ihren geltenden Ordnungen zu empfangen. Wir ermutigen die Mitglieder unserer Kirchen, die ihnen angebotene eucharistische Gastfreundschaft anzunehmen und dadurch ihre miteinander bestehende Einheit in dem einen Leib Christi zum Ausdruck zu bringen;
(6) daß, wann immer sich das Volk Gottes in unseren Kirchen zum Abendmahlsgottesdienst versammelt, die ordinierten Geistlichen unserer Kirchen – gemäß deren Bestimmungen – das Herrenmahl in einer Weise gemeinsam feiern, die über gegenseitige eucharistische Gast-freundschaft hinausgeht, aber noch nicht die volle Austauschbarkeit der Geistlichen erreicht** . Solche eucharistische Gemeinschaft läßt die Gegenwart zweier oder mehrerer Kirchen erkennen, die ihre Einheit im Glauben und in der Taufe zum Ausdruck bringen und glaubhaft machen, daß wir auch weiterhin darum bemüht sind, die Einheit der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche sichtbar zu machen und daß wir in solcher eucharistischer Gemeinschaft mit dem Einen Herrn Jesus Christus einander auf dem Wege zu diesem Ziel stärken und ermutigen;
Der Abendmahlsgottesdienst wird von einem ordinierten Geistlichen geleitet. Nur diese Person darf das eucharistische Gebet sprechen.
In dem eucharistischen Gebet sind die Einsegnungsworte verbunden mit der Danksagung an den Vater, der Erinnerung an das Heilswerk Christi (Anamnese) und der Anrufung des Heiligen Geistes (Epiklese).
In solchen Gottesdiensten sollte die Ordnung gelten, die von der Kirche des leitenden Geistlichen autorisiert ist.
Die Verabredungen für die Liturgie einschließlich der Zuteilung der verschiedenen Teile des Gottesdienstes sollten sich nach den örtlichen Umständen und Traditionen richten.
Ein angemessener Umgang mit den nach der Feier übrig bleibenden Gaben ist geboten.·Jede Kirche (sollte) die Praxis und Frömmigkeit der anderen respektieren…Die Achtung für die in der Eucharistie verwandten Elemente (bringt man) am besten dadurch zum Ausdruck, daß man sie verzehrt, ohne dabei ihren Gebrauch für das Krankenabendmahl auszuschließen. (19)
Geistliche sollten die ihrer Tradition angemessene Amtstracht tragen.
(7) daß es ein Ausdruck der Verpflichtung unserer Kirchen zur Einheit und Apostolizität der Kirche ist, wenn ein Bischof oder Pfarrer eine Einladung zur Teilnahme an einer Ordination in einer anderen Kirche annimmt. Bis wir ein gemeinsames, in vollem Einklang befindliches Amt haben, kann eine solche Teilnahme an einer Ordination keine Handlungen einschließen’ welche durch Worte oder Gesten darauf schließen lassen könnten. daß solches bereits erreicht sei.
Für die Kirche von England bedeutet dies, daß ein beteiligter Bischof oder Priester nicht durch Handauflegung oder auf andere Weise eine Handlung vornehmen darf, welche als Zeichen der Übertragung des anglikanischen Priesteramtes (Holy Orders) gilt. Er darf an einer davon getrennten Handauflegung als Segenshandlung teilnehmen.
18. Die vorstehende Erklärung tritt in Kraft, wenn sie von der Kirche von England, dem Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und der Evangelischen Kirche in Deutschland gemäß deren intern geltenden Vorschriften und Verfahrensweisen angenommen ist. Wir empfehlen unseren Kirchen, dieser Verpflichtung, an gemeinsamem Leben und gemeinsamer Sendung teilzunehmen und nach voller, sichtbarer Einheit zu streben, gottesdienstlich Ausdruck zu verleihen.
19. Die Ausführung der Vorschläge in dieser Erklärung wird einen wichtigen Abschnitt in dem Wachstum auf volle, sichtbare Einheit der Kirche hin bedeuten. Wir wissen, daß über dieses Engagement hinaus ein Schritt folgt, die Kirchen und Ämter nicht nur anzuerkennen, sondern innerhalb der weiteren Gemeinschaft der universalen Kirche zum vollen Einklang zu bringen.